36 Grad und es wird noch heißer … Wer dieser Tage denkt, er kann vor lauter Hitze nicht mehr denken, war noch nie im Hochsommer in Delhi, wo die Quecksilbersäule zu dieser Jahreszeit nicht selten auf 47, 48 Grad klettert. Wer kann, verlässt erst nach Sonnenuntergang das Haus, auch wenn das Thermometer dann immer noch fast 40 Grad anzeigt, oder hält sich in klimatisierten Räumen auf. Nach fünf Wochen in den zum Teil noch schneebedeckten Bergen von Ladakh und bei vergleichsweise “kühlen” 30 Grad in Kaschmir habe ich das Gefühl, mir pustet jemand mit einem heißen Fön ins Gesicht, als ich das Flughafengebäude in Delhi verlasse. Das hält ja kein Mensch aus, wäre ich mal in Kaschmir geblieben. Doch ich möchte weiter nach Rishikesh. Und entgegen des Vorschlags der Familie Karnai, ich könne doch von Srinagar mit dem Bus über Jammu dorthin fahren, das dauere nur zwei Tage, hatte ich mich entschieden, nach Delhi zu fliegen und von dort weiter zu reisen. Da die Züge mal wieder komplett ausgebucht sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als später in den Nachtbus zu steigen.
Drehkreuz “Dilli, Dilli” – man kommt nicht an Delhi vorbei
Da bin ich also wieder, in Delhi, oder “Dilli, Dilli”, wie die Einheimischen die indische Hauptstadt nennen. Zum x-ten Mal, denn Delhi ist das Drehkreuz schlechthin in Indien. Egal wo man hin möchte, nach Westen, Osten, Süden oder in den Norden – an Dilli, Dilli kommt keiner vorbei. Ich habe gerade einmal nachgezählt: Auf meinen fünf Reisen nach Indien habe ich insgesamt 23 Nächte in dieser Stadt verbracht, kurze Nächte am Flughafen nicht mit eingerechnet. Und das in einer Stadt, die ich lange Zeit einfach nur schrecklich fand und um die ich am liebsten nach meinem ersten Besuch einen großen Bogen gemacht hätte. Warum Dilli, Dilli bisher auf meiner “1000 places you don’t have to visit a second time”-Liste ganz oben stand und wie und warum wir uns im Laufe der Zeit doch irgendwie angefreundet habe, erzähle ich demnächst mal an einer anderen Stelle. Heute geht’s um neue Bekanntschaften, planlose Rikschafahrer, suspekte, aber hilfsbereite Einheimische und die Antwort auf alle Fragen und die heißt “Pfeiler 26”.
Antwort auf alle Fragen? Pfeiler 26? Ist da jetzt auch jemandem die Hitze zu Kopf gestiegen? Nein. Des Rätsels Lösung zu Pfeiler 26 kommt später. Erst einmal möchte ich Euch Balu vorstellen, den ich am Flughafen in Srinagar kennengelernt habe und von dem ich schon mal kurz erzählt habe. Balu, wie Balu der Bär, frage ich. Genau. Eigentlich heißt er Balwant, ist Mitte 30, stammt aus Neemrana, einem kleinen Dorf in Rajasthan, wo er mit Frau und zwei Kindern lebt und als Reiseführer arbeitet. Nach Kaschmir war er zum Pilgern gekommen, zur Amarnath Yatra. Jedes Jahr im Sommer machen sich bis 150.000 Pilger auf den Weg zur Höhle von Armanath, dem nördlichsten Heiligtum der Hindus, sei es zu Fuß, zu Pferd oder, wer es sich leisten kann, mit dem Helikopter.
Balu hat den Weg zu der auf 3882 Meter gelegenen Höhle zu Fuß zurückgelegt. Auf seinem Smartphone zeigt er mir Fotos, auf denen er mit Mütze und Handschuhen bewaffnet und in eine dicke Daunenjacke eingepackt durch den Schnee stapfend zu sehen ist. Hachz, Schnee, kühle Temperaturen, das wäre jetzt was Feines. Mein T-Shirt ist auf dem kurzen Weg zum Taxistand schon durchgeschwitzt. Eine Klimaanlage hat das alte, schwarze Taxi nicht, das uns zum Khan Market bringen soll. Balu hat noch ein bisschen Zeit, bis der Bus nach Neemrana fährt und beschließt, mir Gesellschaft zu leisten. Mein Bus nach Rishikesh fährt nämlich erst um 22.00 Uhr.
Oase Khan Market – Abkühlen im Café Turtle
Der Khan Markt, recht zentral gelegen in der Nähe des berühmten India Gate, ist meine kleine Oase in Delhi. Wenn mir alles mal wieder zu trubelig ist in dieser riesigen Stadt mit seinen mehr als 18 Millionen Einwohnern. Mir die Schlepper am Connaught Place wieder einmal total auf den Keks gehen. Und ich den röhrenden Mopeds im Main Bazaar in Pahar Ganj, die einen fast umfahren, wenn sie sich durch die Menschentraube schlängeln, am liebsten den Saft abdrehen würde. Der Khan Market bietet alles, was das Herz westlicher Expats und wohlhabender, moderner Inder begehrt, angefangen bei westlichen Cafés und Restaurants über schicke Boutiquen bis hin zu gut sortierten Buchhandlungen. In dem nach Khan Abdul Jabbar Khan, einem der Väter der indischen Unabhängigkeitsbewegung, benannten Markt gibt es keine aufdringlichen Verkäufer. Platz für Rikschas gibt es in den kleinen Gässchen zwischen den 1950 erbauten Häuserzeilen auch nicht. Ein Paradies.
Wir gehen ins Café Turtle, das meiner Lieblingsbuchhandlung angeschlossen ist, dem Full Circle Bookshop. Hier ist es wenigstens ein bisschen kühler. Ich komme mir ein wenig blöd vor mit meinen zwei Rucksäcken, verschwitztem T-Shirt und den Wanderstiefeln an den Füßen. Hier sind alle so stylish und cool angezogen, die Jungs in cremefarbenen Bermudas und Polos, die Mädels in kurzen Sommerkleidchen. Willkommen in der Großstadt. Balu will wissen, was ich in Deutschland mache, erzählt mir, dass er auch Yoga praktiziert und er neben seiner Tätigkeit als Reiseleiter seinen Vater, einen Silberschmied, im Vertrieb unterstützt. Sein Handy klingelt. Sein Cousin Aman sei auch in Delhi heute und frage an, ob sie gemeinsam mit dem Bus zurückfahren. Balu fragt, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er auch ins Café kommt. Hmm, ein wenig seltsam kommt es mir plötzlich schon vor, was ich hier mache. Sitze mit einem wildfremden Kerl in einem fremden Land im Café, und jetzt soll noch ein anderer wildfremder Typ dazukommen? Egal. Ja, soll er halt kommen.
Wenig später taucht ein junger Mann mit schwarzem Lockenkopf und Brille, vielleicht Anfang Zwanzig, an unserem Tisch auf, Aman. Er hat eine Kamera umgehangen. Er sei unter anderem zum Fotografieren in Delhi gewesen, erzählt Aman. Das Fotografieren sei eine seiner größten Leidenschaften. Indien als Motiv wird er für die nächsten Jahre gegen England austauschen, wo er einen Studienplatz für seinen Master in Business Administration bekommen hat. Ich verfolge seine Fotografie über Instagram und Facebook, genau wie die farbenprächtigen Fotos aus Rajasthan, die Balu während seiner Touren macht.
In the heat of the night – Warten an der Rama Krishna Marg
Leider müssen die beiden irgendwann aufbrechen, jedoch nicht, ohne sich zu versichern, dass ich alleine klarkommen würde bei meinem Weg zum Bus. Keine Sorge, sage ich, das wird schon alles klappen. Dachte ich. Ich hätte wissen müssen, dass ich spätestens beim Suchen nach einer Rikscha wieder im “richtigen” Indien angekommen sein würde mit Feilschen und Hoffen, dass der Fahrer auch den Weg kennt. Natürlich wollen mich die Rikscha Wallahs wieder abzocken. Zweihundert Rupien bis zur Metrohaltestelle an der Rama Krishna Marg, das ist ja fast soviel wie vom Flughafen zum Khan Market. Kann ja gar nicht sein. Ich finde jemanden, der mich für 70 Rupien fährt, immer noch zu viel, denn er stellt das Taxameter an, das bei unserer Ankunft 35 Rupien anzeigt. Ach, so läuft das. Vielleicht kann er mir dafür noch sagen, wo denn die Busse abfahren. Achselzucken. War ja klar.
Es ist mittlerweile stockdunkel, aber immer noch heiß. Mein T-Shirt klebt, sobald ich mich auch nur einen Schritt bewege. Wie halten das die Einheimischen aus? Und die Menschen mit Einkaufstaschen, die Richtung Metro verschwinden, sehen alle noch so frisch aus. Darüber kann ich mir später Gedanken machen. Viel wichtiger ist die Frage, wo der Bus abfährt. Ich sehen an der Straße ein paar dunkle, abgestellte Reisebusse, ebenso auf dem Parkplatz. Auf meinem Ausdruck des Reisebüros in Srinagar steht, Ausgang 3 Metro Rama Krishna Marg. Da stehe ich jetzt. Wo soll denn hier ein Bus halten? Soll der rambomäßig die schmiedeisernen Gitter umfahren, die den Platz abtrennen?
Die Antwort auf alle Fragen: Pfeiler 26
Ich hoffe darauf, dass noch irgendjemand kommt. Ich bin doch sicherlich nicht die einzige, die nach Rishikesh will und diesen Einstieg gewählt hat. Ich muss ziemlich ratlos ausgesehen haben, denn ich werde immer wieder gefragt, ob ich auf etwas warte und ob man mir helfen könne. Ja, kann man. Wo denn wohl der Bus nach Rishikesh abfährt, frage ich den jungen Mann, der mir eigentlich nicht ganz geheuer ist, aber der vielleicht ein Handy hat und die Nummer auf meinem Ticket anrufen kann. Nach einem kurzen Telefonat erfahre ich, dass ich zu Pfeiler 26 gehen soll. Pfeiler 26? Wo soll der sein? Vor uns ist eine Hochstraße mit unzähligen Betonpfeilern. Da hinten, sagt er und zeigt irgendwo ins Finstere. Er könne mich auch hinbringen. Genau. Ganz bestimmt gehe ich da jetzt nicht mit hin. Ich frage ihn, ob er mich auf den Arm nehmen will. Und bitte ihn, die Nummer nochmal anzurufen. Ich möchte selber mit der Reiseagentur sprechen. Aber ich könne doch kein Hindi. Egal. Die werden ja wohl Englisch können. Ich solle vor dem Ausgang 3 warten, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung. Von wegen Pfeiler 26, denke ich. Der Typ mit dem Handy dackelt achselzuckelnd ab.
Ich werde immer unruhiger und stürze mich fast auf die Rucksacktouristin, die auf mich zukommt. Sie wolle doch bestimmt auch nach Rishikesh. Ja. Selbe Uhrzeit? Ja. Selbes Busunternehmen? Nein. Blöd. Es wird immer später und weit und breit ist kein Bus in Sicht. Eine Frau kommt auf uns zu und fragt, ob wir ein Problem haben. Ja, haben wir. Sie schaut sich unsere Tickets an und wir laufen ihr hinterher. Erst in die eine Richtung, wo Busse stehen. Nein, hier seien wir falsch, sagen die Fahrer. Dann in die andere Richtung. Wieder falsch. Sie ruft die Nummer auf dem Ticket an. Ich müsse zu Pfeiler 26, sagt sie. Aaarrrggghhh. Wenn ich diesen Satz nochmal höre, flippe ich aus. Wo ist denn bitte schön Pfeiler 26? Können die keine Bussteige mit Nummern hier bauen wie an jedem vernünftigten Busbahnhof. Sie läuft mit los, mit meinem Ticket in der Hand, wir hinterher. Wir entdecken eine 26 auf dem Betonpfeiler. Es gibt ihn also, den Pfeiler 26. Die Frage ist nur, ob der Bus noch da ist. Er hätte eigentlich schon vor 50 Minuten abfahren sollen. Ob ich mir ein Hotel in Delhi suchen musste und am nächsten Tag dasselbe Spiel nochmal durchmachen musste, erfahrt Ihr im nächsten Blogpost. Ich muss nämlich jetzt los, zum Grillen mit meinen Iron-Blogger-Kollegen. Da kann ich heute angeben, dass ich gerade schon den zweiten Artikel für diese Woche gepostet habe. Vielleicht werden mir ja bei soviel Strebertum meine Schulden erlassen ;-). Schönes Wochenende und bis nächste Woche!
Oli
18. August 2015 at 9:02Der Busbahhof in Indien… da habe ich auch schon ein paar Stunden meines Lebens mit der Suche nach dem richtigen Bus verbracht. Etwas ähnlich unorganisiertes ist mir in meinem Reiseleben noch kein zweites Mal untergekommen. Incredible India halt… 🙂
Alexandra
19. August 2015 at 11:05Das war leider noch nicht mal ein richtiger Busbahnhof. Und der Bus ist dann ungefähr noch 1,5 Stunden durch den Großraum Delhi gekurvt, um weitere Fahrgäste einzusammeln, irgendwann waren wir dann fast wieder am Ausgangspunkt. Incredible India :-).