Buddhistische Klöster in Ladahk III: Schlange stehen beim Rinpoche von Spituk

Sonntag später Vormittag, strahlender Sonnenschein, knackig-blauer Himmel, T-Shirt-Wetter, der perfekte Tag für einen Ausflug. Nein, nicht heute und nicht in München. Leider. Ein Sonntag in Leh in Ladakh letzten Sommer. Ich bin etwas unschlüssig, was ich mit diesem schönen Tag anstellen soll. Königspalast? Durch die Gassen der Altstadt bummeln? Ein bisschen Geld ausgeben auf dem tibetischen Markt? Durch die Gerstenfelder hoch nach Sanskar laufen und das Kloster anschauen? Oder einfach noch ein bisschen im Café sitzen bleiben? Zu viele Optionen. Wie zu Hause in München. Berge, See, Isar oder doch einfach nur Englischer Garten?

Ich blättere ein bisschen in meinem Reiseführer und beschließe: Heute ist der ideale Tag, um nach Spituk zu fahren. Das ist nur ein Katzensprung von Leh entfernt. Es fahren zwar auch täglich ein paar Minibusse in das kleine Dorf, aber ich bin heute bequem und schlendere zum zentralen Taxiplatz. Die 13 Kilometer können ja nicht die Welt kosten. In Leh gibt es zum Glück von der Taxigewerkschaft festgelegte Preise, die man in einer Liste einsehen kann, so dass das in Indien so typische Überdentischgezogenwerden beim Taxi- und Rikschafahren und das Feilschen wegbleiben.

Zeremonie mit der Reinkarnation des Bakula Rinpoche

Mein Ziel in Spituk – das Kloster – ist schon von weitem zu sehen. Wie fast alle Klöster in Ladakh thront es hoch oben auf einer Bergkuppe. Heute muss irgendetwas Besonderes in Spituk stattfinden. Menschentrauben so weit das Auge reicht. Einheimische in traditioneller Tracht und mit Blumensträußen in der Hand. Junge Mönche, die vor der Treppe, die zum Haupteingang führt, aufgeregt hin und her hüpfen. Oben auf der Terrasse ebenfalls ein riesiger Menschenauflauf. Und ein gutes Dutzend Mönche mit Blasinstrumenten und lustigen Kopfbedeckungen, eine Art Helm mit Puscheln, sieht ein bisschen aus wie eine Irokesenfrisur. Ganz in Gelb gehalten. Kein Wunder, denn das Kloster von Spituk gehört auch zum Gelbmützenorden wie das Kloster in Thikse. Spituk ist sozuagen die „Hauptniederlassung“ der Gelbmützen und gehört zu den bedeutendsten buddhistischen Zentren in Indien.

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Ich frage jemanden, auf was alle warten und was das mit der Musik auf sich hat. Rinpoche, Rinpoche höre ich. Aha. Das, was ich im Reiseführer vom Rinpoche von Spituk gelesen habe ist, dass der letzte Abt – Bakula Rinpoche – bereits 2004 gestorben ist. Von welchem Rinpoche ist denn wohl die Rede? Der Tumult wird immer größer. Er kommt, er kommt. Wer kommt denn? Die Mönche mit den Federhelmen und den Instrumenten rennen die Treppe herunter, die Einheimischen und die Handvoll westliche Touristen folgen. Ich laufe auch einfach mal hinterher. Die Massen strömen in den Haupttempel, die erwachsenen Mönche nehmen auf den Bänken an der Seite Platz, die Kinder müssen dahinter auf dem Boden sitzen.

Ich werde von dem Strom der im besten Sonntagsstaat gekleideten Ladakhis mitgezogen Richtung Altar. Jetzt sehe ich, wer hier so sehnsüchtig erwartet wurde. Auf dem Thron vor dem Altar sitzt ein kleiner Junge. Vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Der Rinpoche. Oder vielmehr die Reinkarnation des verstorbenen Bakula Rinpoche. Wenn das Oberhaupt eines Klosters stirbt, wird natürlich ein Nachfolger gesucht.  Nach der tibetischen Tradition und dem Glauben an Wiedergeburt werden dazu Familien mit kleinen Kindern in der Region aufgesucht, um herauszufinden, ob eines davon die Reinkarnation des verstorbenen Rinpoche sein kann. Auf diese Weise wurde der Dalai Lama „gefunden“ und auch der kleine Junge, um den sich an diesem Sonntagmittag in Spituk alles dreht.

Segnung durch den Rinpoche – ausnahmsweise auch mit simplem, farbigen Baumwollschal

Ich werde mit der Schlange durch den Raum hinter dem Altar geschoben. Ich bin etwas zögerlich und weiß nicht so recht, ob ich hier überhaupt etwas verloren habe. Aber der ältere Mönch, der so etwas wie der Koordinator dieses Spektakels zu sein scheint, nickt mir zu und gibt mir zu verstehen, dass alles in Ordnung sei. Als wir um die Ecke biegen, sehe ich, was die anderen machen. Sie geben dem Mönch mit Federhelm neben dem Thron ihren weißen Schal, der diesen an den jungen Rinpoche weiter reicht. Die Gläubigen gehen ein wenig in die Knie, neigen ihren Kopf und warten, bis der Rinpoche ihnen den Schal wieder um den Hals legt. Eine Segnung, wie ich später erfahre. Ich habe leider keinen dieser weißen Tücher, nur meinen farbigen Baumwollschal. Aber der wird wohl ausnahmsweise auch akzeptiert. Der Mönch neben mir bedeutet mir, meinen Schal abzunehmen und seinem Kollegen zu geben.

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Als mir der kleine Junge den Schal um den Hals legt und ich weiter geschoben werde, spüre ich einen Kloß im Hals. Ich weiß nicht, was mich mehr berührt. Die Sehnsucht und das Glück in den Augen der Ladhakis, die darauf warten, von dem jungen Rinpoche gesegnet zu werden oder der Rinpoche selbst. Dieser kleine Junge, der mit seinen acht Jahren bereits eine solche große Aufgabe hat. Der mit vier Jahren sein Elternhaus verlassen musste und seitdem in der Obhut des Klosters lebt. Der einerseits so ernsthaft und erwachsen wirkt. Mitunter sogar ein wenig blasiert, als ob er denkt „Hey, ich weiß, dass ihr alle wegen mir hier seid, aber ich würde jetzt viel lieber eine Runde Fußball spielen.“ Dessen Gesicht sich dann aber doch zu einem verschmitzten Lachen verzieht, wie das achtjährige Jungen eben so tun.

Ich möchte gerne noch ein wenig bleiben. Ich entdecke ein paar der westlichen Touristen in der Nähe des Eingangs. Da kann ich mich sicherlich noch neben setzen. Der zweite Aufpassermönch weist mir jedoch einen Platz neben den Kindern zu, ziemlich weit vorne. Die gucken mich mit ihren großen braunen Augen an und denken sich bestimmt, was will die bleiche Frau denn hier bei uns? Ich gucke zurück, lache meinen Sitznachbarn an. Er lacht zurück. Fein, das Eis ist gebrochen. Freunde. Dann ist „Teatime“. Ich bekomme auch einen Becher mit Tee, dieses Mal habe ich Glück, kein Buttertee, sondern leckerer Chai mit Milch und Zucker. Und dazu ein Schälchen süßer Reis mit Mandeln.

Als die Zeremonie vorbei ist und ich die Halle verlasse, habe ich Mühe, meine Schuhe wiederzufinden in dem riesigen Haufen vor der Tür. Ich weiß nicht, wie viele Hunderte von Besuchern sich an diesem Sonntag Vormittag hier herum tummeln. Was für ein Erlebnis. Und was für ein Zufall, dass ich ausgerechnet heute genau um diese Uhrzeit hierher gekommen bin. Dieser Sonntag gehört zu den Tagen, die ich niemals vergessen werde.

Ich sollte während meiner Zeit in Ladakh noch einmal hierher kommen. Und erneut auf den kleinen Rinpoche treffen. Dazu gebe ich an dieser Stelle nur das Wort „Fußball“. Wer wissen möchte, was achtjährige Rinpoches so anstellen, wenn sie nicht auf einem Thron im Tempel sitzen und Segnungen verteilen, sollte nächste Woche wieder hier im Blog vorbeischauen!

Ein kleines P.S. zum Alleinreisen und wie man auch ohne Reisegruppe von A nach B kommt

P.S. Ach ja, ich wollte ja noch kurz erzählen, ob und wie ich von Thikse nach Leh zurückgekommen bin, so ohne Anschluss an eine wild knipsende Touristenreisegruppe mit Guide, der sich um alles kümmert.  Ja, ich bin wieder zurückgekommen. Sogar ganz bequem ohne stundenlang nach irgendwelchen Minibussen Ausschau halten zu müssen. Nach der Puja fragte mich die wie eine Nonne aussehende Engländerin, Sheila (über die ich übrigens schon mal etwas geschrieben habe), ob ich mit ihr frühstücken wolle. Und ob ich noch länger in Thikse bliebe. Nein? Dann könne ich gerne bei ihr mitfahren, sie habe ein Taxi bestellt, das sie abholt. Perfekt. Als ich bei meinem Porridge mit frischen Früchten – mag ich eigentlich gar nicht, aber hier in Thikse war der Haferschleim, den sicherlich auch der British Raj in Indien eingeführt hat, richtig lecker – auf Sheila wartete, fragte mich dann auch noch der Kellner, ob ich schon eine Mitfahrgelegenheit habe. Es starte gleich ein Lieferwagen vom Kloster nach Leh, der könne mich mitnehmen. Wäre sicherlich abenteuerlich gewesen, hinten auf der Ladefläche, aber nachdem es anfing zu regnen, war ich ganz froh, dass ich einen Platz im Taxi hatte.

Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil es mich jedes Mal wieder begeistert, wie kommunikativ das Alleinreisen ist, wie man sich umeinander kümmert und wie hilfsbereit die Locals sind. Viele in meinem Umfeld stellen sich das Alleinreisen einsam vor, denken, dass es keinen Spaß macht, alleine auf Erkundungstour zu gehen und dass man das Erlebte mit niemandem teilen kann. Ich reise gerne mit jemand anderem zusammen. Aber ich reise genauso gerne alleine. Denn meistens ist man gar nicht alleine.  Wenn man länger in einer Gegend ist so wie ich letzten Sommer in Ladakh, begegnet man immer wieder denselben Menschen. Lernt durch Zufall jemanden kennen wie eben Sheila in Thikse. Durch die ich wieder andere spannende Personen getroffen habe. Wie Corey, den Ingenieur aus USA, der mit uns in Thikse gefrühstückt hat und der seit Jahren hierher kommt und Wasserprojekte unterstützt. Oder Bruce, der spirituelle Australier, der Dokumentarfilme in Tibet dreht und regelmäßig den Dalai Lama trifft. Oder die Ladies aus Wales und Kanada, mit denen ich meine nächste Klostertour machte.

Mehr zu der großen Klosterrundreise entlang des berühmt-berüchtigten National Highway #1 in den nächsten Blogposts! Ich wünsche Euch allen einen schönen Wochenstart. Und: Falls noch nicht geschehen, probiert das mit dem Alleinreisen einfach mal aus, es lohnt sich!

5 comments

  1. Das war wirklich eine sehr bewegende Montagmorgen Lektüre. Was für ein Zufall, dass du das so miterleben durftest. Mir lief beim Lesen die Gänsehaut wirklich hoch und runter.

    Ich mag die Farben des Klosters so sehr. Es sieht so kindlich aus und passt unglaublich zu dem Bild mit dem Jungen. Er wirkt sehr in sich gekehrt und es war sehr beruhigend, dass er doch eben wie ein Junge einfach loslächeln kann.

    Danke für das P.S. Da spricht dich die Nonne einfach so an, ob du frühstücken magst? Weil ihr euch schon einmal getroffen habt?
    Das mit der Ladefläche ist eine tolle Einladung. Irgendwie super nett, aber so unvorstellbar. Aber noch viel beeindruckender, dass der Kellner einfach fragt, ob du eine Fahrgelegenheit brauchst.

  2. Ich hatte beim Schreiben auch wieder einen Kloß im Hals. Dieser Sonntagmogen war wirklich sehr bewegend. Und den jungen Rinpoche werde ich immer in Erinnerung behalten. Ich hatte schon einmal Gelegenheit, in Kathmandu eine ähnliche Zeremonie zu erleben. Dort habe ich auch erlebt, dass diese Jungen einerseits ihrer Kindheit beraubt werden, sie aber andererseits trotzdem wie kleine, “normale” Jungen sind.

    Ich liebe sie auch, diese Klöster mit ihren weißen Mauern und den bunten Fahnen. Letztlich haben sie alle dieselbe Architektur, doch trotzdem ist jedes irgendwie intellektuell.

    Sheila, die englische Nonne in spe (sie war sich seinerzeit noch nicht ganz sicher, ob sie wirklich diesen Weg einschlagen sollte) und ich hatten uns schon vor der Puja beim Warten auf den Einlass in den Tempel unterhalten. Und dann kamen wir im Anschluss wieder ins Gespräch. Und haben uns gemeinsam über die knipsende Touristengruppe aufgeregt ;-).

    Bei meinen Ausflügen ins Münchner Umlandhat mich noch kein Kellner gefragt, wie ich denn wieder in die Stadt komme ;-). Die Ladhakis sind wirklich wahnsinnig hilfsbereit!

    LG nach Berlin!

  3. Ein schönes Erlebnis!
    Ich hatte auf meiner Reise 2012 ein ähnliches Erlebnis. Nach den Besuchen von ein paar anderen Klöstern (Thikse, Chemre u. a.) lernte ich auf der Busfahrt zum Kloster Spituk einen Lehrer des Klosters kennen, der mich dort dann herumführte und auch eine Audienz mit dem Rinpoche ausmachte. Ich bekam ein weißes Tuch um den Hals, setzte mich dem Rinpoche gegenüber und durfte ihm Fragen stellen, was mich etwas überforderte, da ich dachte, ich müsste dem kleinen Jungen tief spirituelle Gedanken mitteilen. Ich habe dann aber eher nach seinem Alltag und seinem Lieblingsspielzeug gefragt. Vielleicht habe ich da eine Chance vertan? Auf jeden Fall habe ich den Tag in Spituk sehr genossen und musste durch deinen Artikel wieder dran denken. Danke!

  4. hallo christoph, vielen lieben dank für deinen kommentar! ein tolles erlebnis, dass du in spituk hattest, eine persönliche audienz, wunderbar! und wie spannend, dass du ihn nach seinem spielzeug gefragt hast. 2012 muss er dann ungefähr sechs gewesen sein, also ein richtiger kleiner junge. so ein weißes tuch habe ich mir bei meinem zweiten besuch auch gekauft, vorne am eingang in dem kiosk gab es das als meterware. aber das kam dann gar nicht zum einsatz. statt dessen haben wir ein rotes bändchen um das handgelenk bekommen, das trage ich immer noch.

    einen buchtipp habe ich leider nicht, habe gerade nochmal mein bücherregal durchforstet. habe aber in der buchhandlung in leh einige andere bücher zum buddhismus gekauft, die mir empfohlen wurden, u.a. “an end to suffering” von panjaj mishra.

  5. Was ich vergessen habe: tolle Fotos!!
    Und: Kennst du ein gutes Buch zum Buddhismus in Ladakh?

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