Nach meinen vielen Reisen durch Indien müsse ich mich beim nächsten Mal unbedingt in Gegenden abseits der klassischen Pfade vorwagen, sagte mir kürzlich ein Freund, der vor Jahren von München nach Indien ausgewandert ist. Dabei habe ich das doch schon. In Madhya Pradesh war ich, in Ladakh, Kaschmir und Darjeeling zum Beispiel. In die Nordostprovinzen will er mich schicken, in jene Regionen, die nur über einen schmalen Korridor mit dem Rest Indiens verbunden sind und ansonsten von Tibet, Bangladesh, Bhutan und Myanmar umschlossen sind. Einige dieser sieben Provinzen, zu denen auch die Teeregion Assam gehört, sind nur mit besonderen Genehmigungen pauschal zu bereisen. Zum Teil wegen der sensiblen Grenze zu Tibet. Zum Teil, weil es immer wieder zu ethnisch bedingten Konflikten sowie Aufständen von Rebellen kommt, die für Autonomie von der indischen Zentralregierung kämpfen.
Ein Stück Nagaland in Hauz Khas Market in Delhi
Eine dieser Nordostprovinzen ist Nagaland. Nagaland ist vor allem für drei Dinge bekannt: Tropisch anmutende Landschaften mit von grünem Flausch überzogenen sanften Gebirgsketten, die man erwandern und erradeln kann, unzählige Feste und Festivals mit Musik und Tanz wie das Hornbill Festival, und seine Bewohner, die einst als Kannibalen gefürchteten Kopfjäger der Naga-Stämme.
Bei meinem letzten Besuch in Indien im Oktober taste ich mich an dieses exotisch-reizvolle, doch auch etwas respekteinflössende Reiseziel heran. Ich lerne Karen kennen, die in Hauz Khas Market in South Delhi ein Restaurant betreibt: das Dzükou Tribal Kitchen, das nach dem Dzukou Valley in Nagaland benannt ist. Karen ist eine Freundin einer Freundin und lädt mich zum Essen ein. Ob ich Schwein mag, fragt sie mich über Whats App. Schwein, das versuche ich eigentlich zu vermeiden, wie generell Fleisch in Indien. Habe ich Schweinefleisch überhaupt schon jemals in Indien auf einer Speisekarte entdeckt? Schwein sei eine Spezialität in Nagaland, schreibt Karen. Aber sie könne auch etwas mit braunem Reis zubereiten; sie habe gerade erst wieder eine neue Lieferung von zu Hause bekommen.
Angehende Pfarrerin aus einer Kopfjägerfamilie
Karen stammt aus einem kleinen Dorf in Nagaland. Sie ist eine waschechte Sema. Die Sema gehören zu den Stämmen in Nagaland, die traditionell Kopfjagd ausübten. Keine Sorge, lacht Karen und prostet Puneet und mir mit ihrem Glas Rotwein zu. Man solle sich zwar nicht mit einem Sema anlegen, doch um seinen Schädel müssen Fremde in Nagaland nicht mehr fürchten. Der Großteil der Naga seien heute Christen und recht friedlich. Wir haben noch ein wenig Zeit, bevor das Essen kommt. Karen schenkt nach, und erzählt, wie sie in einem kleinen Ort in Nagaland groß geworden ist.
In eine Missionsschule ist sie gegangen. Als eines von sieben Geschwistern wurde sie schon früh auserkoren, später Theologie zu studieren. Sie hat sich in der Kirchengemeinde engagiert, ist nach der 10. Klasse mutterseelenallein nach Delhi gegangen. Hier hat sie in einem kleinen Zimmer gehaust und tatsächlich angefangen, Theologie zu studieren. Um ein Haar bin ich Pfarrerin geworden, sagt Karen, nimmt einen Schluck Wein und schüttelt den Kopf, als ob sie es selbst kaum glauben kann.
Es sollte anders kommen. Karen arbeitete neben dem Studium eine Zeitlang für eine NGO, heiratete ihren Freund und wurde Mutter. Sie wollte aber keine typische Hausfrau sein und zu Hause am Herd bleiben. Wobei der Herd genau genommen schon immer ihre Passion war: Sie hat seit jeher leidenschaftlich gerne gekocht. Als ihre Tochter aus dem Gröbsten heraus war, wurde aus dieser Leidenschaft ein Beruf. Karen entschloss sich, ein Restaurant zu eröffnen, das etwas besonderes sein sollte neben all den anderen Lokalen im hippen South Delhi. Ethnische Küche mit ausgesuchten, organischen Zutaten wollte sie anbieten, nach Rezepten aus ihrer Heimat Nagaland.
Kürbis mit Rosenblättern und geräuchertes Schwein
Aromatische Düfte ziehen in meine Nase, eine Schüssel neben der anderen reiht sich auf vor uns. Karen, die normalerweise selbst in der Küche steht, erklärt, was für Köstlichkeiten auf unsere Teller wandern: Kürbiscurry mit Yamswurzeln und Rosenblütenblättern, eines von Karens Lieblingsgerichten. Schwarze Erbsen mit Bambussprossen und Hibiskusblüten. Das Wasser läuft mir schon im Mund zusammen. Fermentierte Sojabohnen mit geröstetem Chili und Kürbiskernen. Brauner Reis. Und geräuchertes Schweinefleisch mit einer Paste aus Süßkartoffeln, welches ich dann doch koste und mich genauso begeistert wie die übrigen Köstlichkeiten.
Wenn Karen nicht im Dzükou Tribal Kitchen in der Küche steht, Lesungen oder Konzerte für das Lokal organisiert oder selbst zur Gitarre greift, reist sie durch die Welt. Sie ist eine gefragte Köchin auf internationalen Events, kochte bereits im Taj Mahal Palace in Mumbai und ist gerade erst aus Dubai zurückgekommen. Wer in Delhi nach einem besonderen kulinarischen Erlebnis sucht, sollte sich unbedingt einen Tisch in dem gemütlichen Lokal im E-Block in Hauz Khas Market sichern. Der Eingang ist direkt neben dem Coffee Days.
Die Adresse:
Dzükou Tribal Kitchen
E-22, 3rd Floor
Hauz Khas Main Market
New Delhi – 110016
© Das Copyright für die verwendeten Fotos liegt bei Karen Yepthomi | Dzükou Tribal Kitchen.
Katja
16. August 2017 at 10:59Liebe Alex,
deine Geschichte liest sich super spannend und Rosenblätter zu essen, klingt exotisch. Haben sie dir geschmeckt? Was mich aber noch mehr interessiert, werden sie irgendwie zubereitet und wenn wie?
Sind es wirklich die Rosenblätter oder die Rosenblütenblätter?
Fragen über Fragen und wahrscheinlich sollte ich wohl eher endlich nach Indien fahren 🙂
Liebe Grüße
Katja
Alexandra
22. August 2017 at 9:43Liebe Katja, vielen Dank! Karen ist nicht nur eine großartige Köchin, sondern hat auch spannende Geschichten zu erzählen, war toll, sie zu treffen. Blütenblätter finden ja inzwischen auch hierzulande den Weg auf den Teller. Genau, die Rosenblütenblätter, nicht die dornigen, grünen vom Stiel ;-). Sie werden eingeköchelt. Aber wie genau entzieht sich auch meiner Kenntnis leider. Ja, Du musst unbedingt mal nach Indien reisen, lohnt sich nicht nur wegen des Dzükou Tribal Kitchens :-): Liebe Grüße, Alex
Monika und Petar Fuchs
16. August 2017 at 23:37Das Kürbiscurry klingt besonders verlockend. Ein Rezept dazu gibt’s nicht zufällig?
Maria
19. August 2017 at 16:49Eine beeindruckende Reise und eine beeinduckende Person, die du hier beschreibst 🙂 Deine Bedanken wegen Schweinefleisch in Indien kann ich nur zu gut verstehen, aber ich sehe auch, dass die Vorsicht bei Karen nicht nötig war. Es klingt einfach köstlich, was das auf den Tisch kam. Ich hätte diesen Artikel nicht auf leerem Magen lesen dürfen…
Ich lass mich mal inspirieren bei meinem Einkauf. Heute gibt es Indisch!
Liebe Grüße
Maria
Alexandra
22. August 2017 at 9:36Liebe Maria, vielen Dank! Ja, Karen ist eine der faszinierendsten Personen, denen ich auf Reisen begegnet bin, so spannend, was sie von ihrer Kindheit in Nagaland zu erzählen hatte und ihr Weg zur Spitzenköchin ist bewundernswert. Dann hoffe ich, dass Du schön indisch gekocht hast :-). LG Alex
Gina
19. August 2017 at 17:45Das hört sich alles super köstlich an! Ich liebe solche fantasievollen Kombinationen, auf die wie nie gekommen wären.
In Indien war ich allerdings noch nie, aber vielleicht ändert sich das ja demnächst mal.
LG Gina
Alexandra
22. August 2017 at 9:32Liebe Gina, so was in der Form hatte ich vorher tatsächlich auch noch nie gegessen. War alles phantastisch. Indien lohnt sich auf jeden Fall, ein wahnsinnig aufregendes Reiseland :-). LG Alex
Katharina
20. August 2017 at 17:11Hallo Alex,
mir läuft das Wasser im Mund zusammen 🙂 Das klingt nach einem unglaublich leckeren Menü. Kürbiscurry mache ich selbst auch sehr gerne und mit Süßkartoffeln bin ich sowieso immer zu begeistern. Rein kulinarisch gesehen wird es höchste Zeit endlich mal nach Indien zu reisen. Allerdings stehe ich Indien als Reiseland immer noch mit einer großen Portion Respekt gegenüber – wir schwanken immer wieder hin und her. Aber vermutlich wird die Neugier irgendwann siegen…
LG
Katharina
Alexandra
22. August 2017 at 9:31Hallo Katharina, es war auch wahnsinnig köstlich, auch das Schweinefleisch, aber vor allem die vegetarischen Gerichte. Deine Bedenken gegenüber Indien kann ich verstehen, es ist in der Tat kein einfaches Reiseland, selbst nach so vielen Monaten, die ich immer wieder dort verbracht habe, ist es für mich jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer. Aber ich kann es empfehlen! LG Alex
Jessi
20. August 2017 at 18:56Hallo Alexandra,
Nagaland klingt ja wirklich nach einem tollen Fleckchen.
Finde nicht nur die Gerichte, sondern vor allem auch die Hintergrundinformationen zu Karens Person sehr spannend.
Auf jeden Fall habe ich jetzt richtig Hunger auf Indisch bekommen!
Liebe Grüße,
Jessi
Alexandra
22. August 2017 at 9:29Hallo Jessi, vielen Dank! Ich liebe es, mehr über die Menschen hinter solchen Projekten zu erfahren. Und die Geschichte von Karen ist einfach so faszinierend, dass ich sie mit hinein bringen musste. Hoffe, ich schaffe es auch irgendwann mal, Nagaland zu bereisen! Liebe Grüße, Alex
Elena
20. August 2017 at 19:47Hallo Alexandra,
geräuchertes Schweinefleisch mit einer Paste aus Süßkartoffeln wäre bestimmt genau meins, aber bei den genannten Alternativen wäre es schwer, sich zu entscheiden. Ich finde die Köchin sehr symphatisch und obwohl ich in exotischeren Ländern aus “Sicherheitsgründen” bevorzugt vegetarisch esse – maximal noch Fisch – würde ich in dem Restaurant auch flexibel werden.
Viele Grüße
Elena
Alexandra
22. August 2017 at 9:28Hallo Elena, ja, ich war skeptisch wegen des Fleischs. Aber ich wusste, dass ich der Köchin vertrauen kann, sie ist eine Freundin einer Freundin. Und es war wirklich alles superfein und lecker und mein Magen hat alles gut vertragen. Viele Grüße Alex
Claudia
21. August 2017 at 11:42Hallo Alex, dein Bericht erinnert mich ein wenig an meinen Ausflug nach Nord Thailand, zumindest was die Umgebung und den Wohnstil anbelangt. Das Essen sieht fantastisch aus, macht Lust auf mehr. Liebe Grüße aus Salzburg, Claudia
Alexandra
22. August 2017 at 9:27Hallo Claudia, das Essen war wirklich köstlich, auch wenn ich erst skeptisch war in Bezug auf das Schweinefleisch. Ja, Nordthailand hat eine gewisse Ähnlichkeit, Nagaland hat mehr mit Myanmar und Thailand zu tun als mit Indien. LG Alex
Anita
22. August 2017 at 19:37Hi Alex!
Obwohl ich selbst wohl eher nicht so schnell nach Indien reisen werde lese ich deine Berichte darüber immer total gerne. Es ist so faszinierend, mit welcher Begeisterung du deine Geschichten aus diesem Land weitergibst. Danke 🙂 LG aus Kärnten, Anita