„Ashram Rehab“ im Backpacker-Paradies Varkala

Ich war nicht die Einzige, die nach den anstrengenden Wochen im Ashram Zuflucht in Varkala suchte. Als ich an meinem ersten Abend an den Restaurants am North Cliff entlang spazierte, rief jemand meinen Namen. Bernadette aus Sidney, Lehrerin und seit fast einem Jahr unterwegs, hatte mich gesehen und lud mich an ihren Tisch ein. Auf der Terrasse des Clafouti – einem der vielen Hangouts, die ich in der nächsten Woche regelmäßig besuchen sollte – saß bereits eine ganze Gruppe ehemaliger Yoga Vacationer. Die taten alles, was im Ashram verboten war: Bier trinken, Wein trinken, rauchen. Und „non-veg“ essen. Komplett anti-yogisch also.

Auf dem Tisch stand ein ganzes Arsenal an Keramikbechern, auffällig unauffällig mit braunem Papier umwickelt. Bier konnte in Varkala nur „undercover“ konsumiert werden. In dem hinduistischen Pilgerort war der Ausschank von Alkohol eigentlich verboten. Kaum ein Restaurants konnte sich die teure Lizenz leisten. Die Weinflaschen wurden unter dem Tisch versteckt. Party in Varkala. Oder „Ashram Rehab“, wie Bernadette es nannte. Eigentlich sollten die Sivanandas diese „Rehab“ als Reisebaustein mit anbieten. Verlängerung am Strand gegen Aufpreis buchbar, wie in den Katalogen der Pauschalanbieter. Die meisten am Tisch waren schon eine ganze Weile hier. Einmal in Varkala und man kam so schnell nicht mehr weg.

Kein Wunder, denn hier gab es alles, auf das wir im Ashram so lange verzichtet hatten. Cafés mit original italienischen, zischenden Espressomaschinen und dem Besten, was die Backbücher der westlichen Hemisphäre hergaben – Chocolate Brownies, Coconut Cake, Carrot Cake, Lemon Cake, Apple Pie, Cinnamon Rolls. Göttlich. Restaurants, die die Finessen der indischen Küche und den Einsatz von Koriander, Kardamon und Co beherrschten. Die mit knusprig-scharfen Masala Papad lockten, mit würzigem Dhal Fry, cremigem Palak Paneer und feinen Malai Kofta. Und dann die keralischen Spezialitäten. Tandoori-Fisch im Bananenblatt gegrillt. Was für eine Gaumenfreude nach dem Sivananda-Einheitsbrei. Und dann die vielen Geschäfte. Genügend Möglichkeiten, seine Rupien in Schmuck, Taschen und Klamotten im Hippie-Style zu investieren, mit denen man garantiert sofort als Backpacker identifiziert wurde.

varkala shops

Ja, es ließ sich aushalten in Varkala. Nur das Wetter passte leider gar nicht zu meinem geplanten Strandurlaub. Der platschende Regen, der mich beim meiner Ankunft empfing, mutierte zu einem nicht enden wollenden Dauerregen. Ein Schritt vor die Tür meines Lehm-Cottages im Bohemian Masala und ich war pudelnass. Da half auch die Jack Wolfskin Trekkingjacke mit verschweißten Nähten nicht. Die Flip-Flops versanken im Schlamm, geteerte Wege gab es nicht. So verbrachte ich die ersten Tage damit, von Café zu Café zu pilgern. Saß stundenlang auf der Couch des Rock and Roll Cafés, genoß das „Open-Air-Ambiente“ und den Blick auf’s Meer. Freute mich, endlich mal wieder in Ruhe zu lesen. Schließlich hatte ich mindestens drei Kilo Bücher in meinem Rucksack. Trank unzählige Tassen Chai Masala. Gönnte mir zum Mittagessen ein Biryani. Guckte den Kindern des Café-Besitzers beim „Vier gewinnt spielen“ zu. So kann man den Tag auch herum kriegen!

Irgendwann nervte jedoch die Dauerberieselung von oben. Mein kleines Cottage war zwar ganz gemütlich, den Fluten aber nicht gewachsen. Ich wunderte mich, dass meine Klamotten auf der Kleiderstange so feucht waren. Es tröpfelte durch das Dach, langsam, aber stetig. Toll. Wie soll ich das alles wieder trocken kriegen? Dafür kam weder aus der Dusche noch aus der Klospülung Wasser. Die Turbinen des Wasserkraftwerks, das Varkala mit Strom versorgte, kollabierten angesichts des stürmischen Wetters. Der Strom fiel immer wieder für Stunden aus. Den Gang ins Badezimmer musste ich also gut timen, meine Taschenlampe war im Dauereinsatz. Seltsamerweise funktionierten die Espressomaschinen in den Cafés trotzdem. Ein Notstromaggregat für die vielen Koffein-Junkies?

varkala

Endlich lugte dann doch einmal die Sonne um die Ecke, hurra! Und Varkala verwandelte sich in einen lebendigen Badeort, der auch Heerscharen von indischen Besuchern anzog. Großfamilien, Paare, Halbstarke, sie alle wanderten am Strand entlang und wunderten sich über die bleichen, westlichen Touristen, die im knappen Badedress in der Sonne schmorten. Das käme den traditionellen Indern nicht in den Sinn. Die Männer tragen auch beim Strandspaziergang bei 40 Grad im Schatten lange Hosen und Hemden. Die Frauen sind etwas luftiger gekleidet mit Sari oder Salwar Kamiz. Letzteres probierte ich übrigens bei einem Ausflug nach Varkala-City auch mal an. Ich kam mir allerdings etwas verkleidet vor. Was meint ihr?

varkala-traditional-clothing

varkala main beach

Die Badefreuden am Main Beach gehörten fortan zu meinen täglichen Ritualen, genau wie der Yoga-Unterricht im Bohemian Masala. Nachdem ich meinen geschundenen Muskeln zwei Ruhetage gönnte, juckte es mich, wieder die Yoga-Matte auszurollen. So schlappte ich jeden Morgen um kurz vor acht durch den Garten in das Yoga-Shala meines kleinen Hütten-Resorts in die Stunde von Vasuv. Schließlich musste ich weiter an meinem Kopfstand feilen. Die Sivananda-Reihe beherrschte ich mittlerweile im Schlaf, aber auf dem Kopf stehen konnte ich immer noch nicht lange. Auch bei Vasuv traf ich jede Menge bekannte Gesichter. Jeden Tag tauchten neue Ex-Yoga-Vacationer aus Neyaar Dam auf. Offenbar waren alle mit dem Yoga-Virus infiziert.

yoga bohemian masala

Beim Shavasana träumte ich vom Frühstück. Endlich kein labbriges Gemüse mehr. Statt dessen goldgelbe Pancakes mit frischen Früchten, dazu ein Frucht-Lassi und ein kräftiger Cappucchino. Der Tag gehört mir! Das Apple Restaurant nebenan wurde meine tägliche Anlaufstelle nach der Yoga-Stunde. Der Entspannungsfaktor war unschlagbar. Die Ohren wurden umsäuselt von einer Endlosschleife von „Om Mani Padme Hum“, dem Mantra aller Mantren, dazu ein bisschen Klatsch aus der Hindustan Times, Meerblick und nette Gesellschaft. Meine Ashram-Mitstreiterin Steffi hatte das Teacher Training geschmissen und war mittlerweile auch in Varkala angekommen.

Die Tage in Varkala vergingen viel zu schnell. Ich konnte gut verstehen, dass viele so lange hier hängen blieben. Ich fühlte mich ziemlich schnell heimisch. An jeder Ecke ergab sich die Gelegenheit zu einem kleinen Plausch. Mit alten und neuen Bekannten. In der Yogastunde bei Vasuv traf ich eine Rosenheimerin, die mehr in der Weltgeschichte unterwegs war als in ihrer oberbayerischen Heimat. Am Strand lernte ich eine Namensvetterin kennen, Alexandra aus Österreich, für neun Monate auf Weltreise. Die Damen aus den Geschäften am North Cliff erkannten mich schon aus der Ferne. „Today you have to come into my shop. You promised yesterday“. Dabei hatte ich nur „Maybe tomorrow“ gesagt, um meine Ruhe zur haben. Das hatte bei den Indern offenbar eine andere Bedeutung. Soviel zu interkulturellen Kommunikation.

Der Spaziergang Richtung Strand dauerte meistens etwas länger. Überall sah ich bekannte Gesichter aus dem Ashram, am freien Freitag sogar die Lehrer, die auch mal etwas „normales“ Leben brauchten. Man traf sich bei einem Milchshake im Cafe del Mar, einem frischgepressten Saft im Juice Shack, einem Dal Fry im Abba Restaurant oder einem Stück Kuchen im Little Tibet. Hier wurde ich übrigens Stammgast, die Auswahl an Kuchen war so groß, dass ich jeden Tag einen anderen probierte. Eine perfekte Location für den Spätnachmittag, Sonnenuntergang inklusive. So schön!

Wenn ich nicht gerade auf der Yoga-Matte war oder Kuchen aß, in den Wellen des Arabischen Meers paddelte oder mir ein Massage- und Beauty-Treatment in einer der vielen Ayurveda-Kliniken gönnte, ging ich stundenlang am Strand spazieren. Trank Tee auf einem Felsen bei meinem Lieblingsstrand-Lokal, das von einem gefühlt 80-jährigen weißhaarigen Inder betrieben wurde, und beobachtete Delfine. Abends gab es oft Abschiedsessen für diejenigen, die wieder nach Hause fliegen mussten. Wir trafen uns zum keralischen Büffet im Juice Shack, um Brigitta zu verabschieden. Leisteten Mira im Little Tibet Gesellschaft, bis ihr Zug zum Flughafen nach Trivandrum ging. Oder genossen einfach so den Abend bei einem Bier im Keramikbecher oder einem Fresh Lime Soda.

varkala dolphin watching

girls night out

Varkala ist eine Enklave für die Backpacker-Szene, hat aber als Pilgerort auch kulturell etwas zu bieten. Ich konnte natürlich nicht weiterreisen, ohne zumindest einmal das Heiligtum der Stadt, den Lord Vishnu geweihten Janardana Tempel in Augenschein zu nehmen. Gut gestärkt mit einer frischen Kokosnuss machten wir uns auf den Weg Richtung City und kamen gerade rechtzeitig, um der mittäglichen Tempelzeremonie beizuwohnen. Einmal die Woche gab es für die Gläubigen ein kostenloses Mittagessen, das wir jedoch zugunsten des Nachmittagskuchens ausfallen ließen.

fresh coconut

temple varkala

Ich verbrachte auch viel Zeit im Internet-Café, um meine Weiterreise zu planen. Der Inder an sich liebt es, Zug zu fahren und wenn man nicht auf Platz 96 der Warteliste versauern möchte, muss man leider frühzeitig planen. Und dann stand da ja auch Weihnachten vor der Tür. Wohin es mich nach meiner Woche in Varkala verschlug, erfahrt ihr in Kürze an dieser Stelle!

2 comments

  1. Liebe Alex, also gleich mal vorneweg: die Salwar Kamiz – Bekleidung steht dir hervorragend! Der Bericht ist wie immer phantastisch und ich bin anhand deiner Beschreibungen ernsthaft versucht, ein indisches Kochbuch zu erstehen! Weiter so, vielen Dank!

  2. danke 🙂 ja, man könnte denken, ich habe auf dieser reise nur gegessen. die indische küche ist aber auch extrem köstlich! und der kuchen war ein stück heimat 😉

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