Nach meinem Tag als Wäschesortiererin hatte ich das Gefühl, meine Pflicht in Sachen „Dienst am Mitmenschen“ erst einmal erfüllt zu haben. Als beim Abendessen jemand mit einem Schild herumlief, dass für den nächsten Morgen noch Freiwillige zum Gemüseschälen gesucht wurden, guckte ich geflissentlich beiseite. Das gab bestimmt wieder mal schlechtes Karma, aber ich wollte ja nicht den Augenblick verpassen, wenn Amma vor die Massen trat. Wäre schon verdammt ärgerlich, wenn ich ausgerechnet dann mit einem Berg Gemüse irgendwo in der Küche hockte. Es fanden sich aber schnell ein paar Küchengehilfen unter den Damen, mit denen ich vor dem Western Café zusammensaß. Das nächste Mittagessen war also gerettet und ich musste kein schlechtes Gewissen haben!
Im Gegensatz zur „Eat in Silence“-Policy im Sivananda Ashram ging es im Ashram von Amma deutlich lebhafter bei den Mahlzeiten zu, zumindest in der Western Canteen. Die meisten Bewohnerinnen waren Frauen, die ja bekanntermaßen schon von Natur aus mehr Worteinheiten pro Tag verbrauchen als Männer. Die Gespräche kreisten jedoch nicht um Schuhe, Star-Gossip, Bollywood-Filme oder angesagte Reiseziele in Indien, sondern einzig und allein um Amma. Amma meint dieses, Amma sagt jenes. Das nahm zuweilen skurrile Formen an: Eine meiner Tischnachbarinnen schaffte ihr Gemüse nicht und fragte, ob jemand noch Hunger habe und vielleicht den Rest haben möchte. Das Kürbis-Kokos-Tomaten-Curry war köstlich und Hunger hatte ich immer. Ich sagte „Och, ich würde das schon noch essen, auch wenn das vielleicht verfressen aussieht.“ „Nein, nein, das ist doch ganz toll. Amma möchte nicht, dass wir Lebensmittel verschwenden. Iss’ ruhig.“ Ich verschluckte mich fast an einem Kürbisstück. Der Lebensmittelverschwendung den Kampf ansagen ist ja gut und schön, aber das mit Amma war mir jetzt definitiv zu viel. Wo war ich bloß gelandet? Wird man automatisch so, wenn man zu lange hier bleibt? Oder findet eine geheimnisvolle Gehirnwäsche statt?
Amma und ihre Lehren schienen jedenfalls für meine Tischnachbarinnen der einzige Lebensinhalt zu sein. Die meisten der westlichen Amma-Anhänger kamen schon seit Jahren regelmäßig hierher, zum Teil für mehrere Monate, einige lebten sogar ganz in Amritapuri. Die Ladies waren deutlich älter als ich, das gefühlte Durchschnittsalter lag bei Mitte Fünfzig, Anfang Sechzig. Einige hatten zu Hause Familie, andere waren geschieden oder verwitwet. Sie trugen alle die uniformen weißen Wallegewänder, die man in der Ashram-Boutique kaufen konnte und die heute in der Wäscherei schon durch meine Hände gegangen sind. Die Haare wurden unter einer Art Turban versteckt. Im Gegensatz zu den verhärmten, blassen Herren, die an der Rezeption oder an der Registrierkasse in der Western Canteen Dienst schoben, wirkten sie jedoch ganz propper und munter. Dennoch hatte ich kurzzeitig einen Alptraum: ich, zwanzig Jahre später mit weißem Flattergewand, Wohnsitz Amritapuri, für zwei Euro am Tag, weil ich mir das Leben in Schwabing nicht mehr leisten konnte und der vermeintliche Traummann, sollte er denn noch auftauchen, mit seiner Tippse durchgebrannt ist. Eine Horrorvision. Dann doch lieber hoffen, dass die Rente noch für ein Zimmer im Damenstift am Luitpoldpark reicht. Ich hoffte, dass sich Amma bald zeigte und ich hier schnell verschwinden konnte.
Es lebten jedoch offenbar nicht alle im Ashram konsequent nach Ammas Regeln. Es gab nämlich auch Familien mit ganz kleinen Kindern. Auf dem Weg zu meinem Hochhaus-Loft begegnete ich dem Rezeptionisten nebst Ehegattin und Nachwuchs. Das Kind war noch ein Baby, trug nur eine Windel und wollte lieber in der Pfütze spielen, als die Eltern in den Ashram-Supermarkt zu begleiten. Ich war etwas verwirrt, stand nicht in der Hausordnung etwas von Enthaltsamkeit? Vielleicht setzte man sich hier ab und zu ins Ashram von Osho nach Pune ab, um diese Regel zu umgehen? Man weiß es nicht …
Apropos Ashram-Boutique und -supermarkt: Ich überlegte, ob ich mir nicht doch so eine weiße Tunika kaufen sollte, die waren schon praktisch gegen die Sonne. Also stattete ich dem Klamottenladen neben dem Tempel einen Besuch ab. Die Gewänder gingen mir jedoch alle bis zu den Kniekehlen und ich sah aus, als würde ich gleich in den Operationssaal geschoben. Dann vielleicht doch lieber eine Amritapuri-Umhängetasche. Mit der lief hier fast jeder herum, sie war mit „Mata Amritanandamayi Devi“ und der Silhouette des Ashrams bedruckt. Die sollte ich im weiteren Verlauf meiner Reise noch häufiger sehen. Lieber doch nicht, ich blieb bei meinem praktischen Trekking-Rucksack. Irgendwas wollte ich mir aber kaufen. Neben dem Laden mit den Ashram-Uniformen beherbergte das Ashram noch zwei Devotionalien-Shops. Wie gesagt: Amma ist überall präsent. Man konnte hier alles erwerben, was mit Amma zu tun hatte: Amma-Bücher und Amma-CDs natürlich. Haufenweise Amma-Fotos. Der Verkaufsschlager: Es gab Amma auch als Puppe. Ich schnappte mir eine Ansichtskarte, zahlte und verließ schnell den Laden. Scary …
Als ich zurück in mein Zimmer kam, war ich auch etwas erschrocken, da lag schon jemand auf der zweiten Matratze. Ich hatte eine neue Mitbewohnerin bekommen, Jeannie aus England. Die war schon fast siebzig und wollte hier einen Yogakurs machen. Und natürlich Amma treffen. Ja, die sollte ich am nächsten Tag auch nochmal aus nächster Nähe sehen, dieses Mal ganz nah! Ob sich das Warten gelohnt hat, erfahrt ihr im nächsten Beitrag!
Alexander Broy
1. September 2013 at 23:03Ein Foto im Wallegewand-Mini wäre jetzt schon schön gewesen …
Merchandising ist die Pest, überall auf der Welt. Dieser Drang immer irgendeinem Schwarm angehören zu wollen und das auch zu zeigen. Ob Harley-Jacke, Band T-Shirt, Yoga-Hose oder Bayern München Trikot … Immer der gleiche Dreck aus Bangladesh-Kinderarbeit, nur damit keiner einfach nur er selbst sein muss …
alexandra911
2. September 2013 at 7:20den anblick erspare ich euch lieber!
ansonsten: schwieriges, aber valides thema; die frage ist auch, wo die ganzen klamotten herkommen, die in delhi kiloweise zum spottpreis von großhändlern an die kleinen geschäfte verscherbelt werden …