Letzte Woche musste der sonntägliche Blog-Post ausfallen. Da hatte ich einen Termin im Zenith. Das letzte Mal war ich glaube ich vor zehn Jahren in der alten Eisenbahnwerkshalle in Freimann, auf einem Konzert von Moby. Der „Master of Ambient Electronic“ wäre vielleicht auch zu dem Event gegangen, wenn er nicht in L.A., sondern in München leben würde. Ich habe kürzlich in einem Yoga-Magazin gelesen, dass Moby, der sich als veganer Aktivist für alles Mögliche einsetzt, sich auch für Buddhismus und Spiritualität interessiert, seit Jahren Yoga praktiziert – das für Hartgesottene, Ashtanga-Yoga – und jeden Tag meditiert.

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Im Zenith wurde letzten Sonntag jedenfalls auch meditiert. Und gesungen. Doch ins Mikro röhrte nicht wie sonst in dieser Location irgendein junger, knackiger Rockstar, sondern eine füllige, imposante Dame, die kürzlich ihren Sechzigsten gefeiert hat. Nein, ich rede nicht von Tina Turner (die ist glaube ich mittlerweile ohnehin schon über 70), sondern von Amma, die wie jedes Jahr im Oktober nach München kam, um die Massen zu umarmen.

OMG, nicht schon wieder, wird jetzt der ein oder andere sicherlich denken. Davon gab’s doch schon genug Stories. Ich habe tatsächlich lange überlegt, ob ich hingehen soll. Massenveranstaltungen sind nicht mehr so mein Ding und das sonnige Herbstwetter war viel zu schön, um in irgendeiner düsteren Halle rumzuhängen. Außerdem war es beim Mädels-Cocktails-Abend am Samstag etwas spät geworden. Aber dann war ich doch zu neugierig und wollte wissen, wie das wohl so ist, so ein Massen-Darshan mit der „hugging mother“. Das, was ich in Kerala in ihrem Ashram erlebt habe, war ja nur eine Light-Version, spontanes Umarmen für die Bewohner des Ashrams, ohne Tickets, ohne Schlangestehen.

Also kombinierte ich das Ganze mit einem Spaziergang durch den Englischen Garten und machte mich auf den Weg Richtung Freimann. Als ich unterwegs auf einer Wiese ein bisschen in der Sonne döste, hörte ich eine Frau sagen „Heute Abend gehe ich noch zu Amma.“ Okay, Müdigkeit hin oder her, ich ging hin. Obwohl ich überpünktlich war, standen sich bei der Ausgabe der Tokens die Leute schon die Beine in den Bauch. Wie ich hörte, gab es noch einen Rückstau von der Session am Vormittag. Vor 22 Uhr würde das Darshan sowieso nicht losgehen, nach dem Programm mit Vorträgen, Bhajan-Singen und Meditation. Meistens dauerte es so bis zwei, bis alle fertig umarmt waren, sagte mir eine der Helferinnen. Ich überlegte schon, wem ich im Zweifelsfalle mein Token vermachen könnte, wenn ich um Mitternacht immer noch ohne Umarmung da hocken sollte. Urlaub hatte ich für den nächsten Tag jedenfalls nicht eingetragen.

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Zum Glück bekam ich ein G-Token. Das war ja schon mal besser als Z. Und ich bekam einen Platz in der ersten Reihe zugewiesen, das war doch vielleicht schon mal ein gutes Zeichen, dass ich nicht die ganze Nacht hier zubringen musste. Meine Sitznachbarn versprachen mir, auf meine Sachen aufzupassen und ich nutzte die Zeit, mich noch ein wenig umzuschauen und etwas zu essen. Das Essen erinnerte mich an die keralischen Curries im Ashram, dieselben Gemüsesorten, nur mit ein paar mehr Gewürzen, auch die Blechthalis waren wie aus der Ashram-Kantine importiert.

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Auch ansonsten fühlte ich mich wie im Amma-Ashram. Und ein bisschen wie auf einer Messe. Es gab unzählige Stände, an denen die obligatorischen Amma-Merchandising-Produkte verkauft wurden – Bücher, CDs, Puppen, Armbänder mit Rudrakshas, die Amma angeblich zum Teil schon mal getragen hat, und natürlich Fotos. Gefühlt war alles mindestens dreimal so teuer wie in der Boutique in Amritapuri. Ich beschränkte mich darauf, heimlich ein paar Fotos zu schießen. Das war natürlich strengstens verboten und ich wurde prompt gerügt von einer Französin, die am Amma-Puppenstand Dienst schob. Ich wollte mich eigentlich offiziell am Presseschalter akkreditieren, aber da fühlte sich irgendwie niemand zuständig. Also blieb mir nur die Papparazzi-Variante. Ich war übrigens nicht die Einzige, die mehr oder weniger heimlich ihr iPhone in die Luft hielt …

Es gab sogar eine „Amma Bar“ mit Cappucchino und Crêpes. Einen Massagebereich. Und Informationsstände zu den humanitären Projekten, die die Amma-Stiftung unterstützt. Ich fühlte mich irgendwie zwiegespalten. Das Ganze kam mir vor wie eine große Verkaufsveranstaltung. Andererseits hatte ich vor Ort in Indien gesehen, was die Organisation für die Bevölkerung tut, Schulen, Ausbildung, medizinische Versorgung, Umwelt, die ganze Palette. Irgendwo muss das Geld für die ganzen Projekte ja herkommen. Eine Amma-Puppe wollte ich trotzdem nicht kaufen, auch nicht so eine Tasche, die ich schon in Amritapuri gesehen hatte. Ich aß statt dessen noch einen Bio-Crêpes zum Nachtisch, der war extra hochpreisig wegen der Bio-Komponente und der Erlös kam auch einem wohltätigen Zweck zugute.

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Dann ging es los. Bühne frei. Gefolgt von ihrer Entourage, unter denen ich ein paar Gesichter aus Amritapuri wiedererkannte, betrat Amma die Bühne. Nicht ganz in Rockstar-Manier, aber schon ein bisschen wie ein Popstar. Immerhin schafft diese Dame es, über die vier Tage, an denen sie in München ist, ein paar Tausend Leute ins Zenith zu bringen. Bei den Vorträgen musste ich mit meiner Müdigkeit kämpfen. Amma sprach sehr engagiert in Malayalam, was natürlich niemand verstand, und wirbelte ihre Arme in die Luft. Es wurden immer wieder längere Passagen übersetzt, oder besser gesagt, von einem Blatt Papier abgelesen. Der Vorleser war jedoch leider kein rhetorisch geschulter Redner, so dass die Inhalte ziemlich untergingen. Beim anschließenden Bhajan-Singen kam ein bisschen mehr Stimmung auf. Das lag hauptsächlich an dem Bariton des älteren Inders mit der Brille und dem orangefarbenen Gewand, der auch in Amritapuri ständig um Amma herumwuselte. Und an den Kindern, die mit auf die Bühne durften und mitsingen durften. Alles in allem jedoch wenig mitreißend.

Nach der Meditation war es dann soweit: Darshan-Time! Die Bühne wurde vorbereitet mit zwei Stuhlreihen, auf denen sich die Token-Inhaber wie bei der Reise nach Jerusalem von Stuhl zu Stuhl nach vorne durcharbeiteten zu Ammas Sessel. Schilder mit den jeweiligen Buchstaben und Nummern zeigten an, wer schon mal seine Schuhe ausziehen und sich bereit machen durfte. Zum Glück dauerte es nur eine knappe Stunde, bis endlich G2 dran kam. Bis dahin hatte ich mir das Spektakel auf der Bühne schon mal aus der Ferne ansehen können und wurde beim Warten in der Stuhlschlange instruiert, was zu tun war.

Jeder Schritt, jeder Handgriff war durchchoreographiert, zu beiden Seiten von Ammas Sessel standen mehrere Helfer. Man bekam ein Kleenex in die Hand gedrückt, mit der man sein Gesicht von Make-Up und Fett reinigen sollte, damit Ammas weißer Sari auch nach drei Stunden noch weiß war. Man konnte sich das Gesicht auch von einer der Helferinnen abwischen lassen. Ich kam mir dabei zwar vor wie ein kleines Kind, aber das war auch schon egal. Bevor mich zwei Hände an Amma’s Brust drückten, musste ich meine Brille abnehmen und beseite legen, wobei ich ziemlich blind und hilflos in der Gegend herumblinzelte. Dann lag ich wie schon einmal in Amritapuri in Amma’s Armen. Dieses Mal raunte sie nicht „meine Tochter, meiner Tochter“, sondern „mein Liebling, mein Liebling“. Ungefähr zehn Mal.

Leider tat sich nichts. So sehr mich die Begegnung in ihrem Ashram berührt hatte, so wenig löste das Ganze dieses Mal in mir aus. Dabei widmete sie mir sogar ihre komplette Aufmerksamkeit und sprach nicht gleichzeitig mit einem ihrer Assistenten, der ihr auch schon mal ein Handy weiterreichte, weil es offenbar einen Anruf gab, der keinen Aufschub duldete. Mit dem Bühnenlicht und der Zuschauerschaft unten hatte das Ganze etwas Komisches. Ich vergaß sogar, mir etwas zu wünschen. Egal. Das hatte sowieso nicht funktioniert. Vielleicht bin ich auch einfach zu sehr Realist und doch nicht so esoterisch, wie man vielleicht denken mag mit meinen ganzen Ashram- und Guru-Geschichten.

Ich war ziemlich ernüchtert, aber trotzdem froh, dass ich dabei war. Das Ganze hat mich ziemlich zum Nachdenken angeregt. Über geistige Führer, Gurus und das Huldigen von Gurus. Das Mädel, mit dem ich zur U-Bahn ging, erzählte mir von ihrem amerikanischen Bekannten, der extra aus den USA hergekommen war und Amma auf ihrer Deutschland-Tour nachreiste. Ich hörte auch von Busgruppen aus der Slowakei, die extra nach München gekommen waren. Ein Kapitel für sich. Aber jetzt muss ich dringend ins Bett, in wenigen Stunden droht schon wieder der schnöde Arbeitsalltag! Ich wünsche euch eine gute Nacht und bis nächste Woche, da geht’s dann aber wirklich weiter mit dem Kanutrip durch die Backwaters!

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