Nachdem wir uns doch noch gütlich über die Finanzen einigen konnten, setzte mich der Rikschafahrer vor Johnson’s „The Nest“ ab. Das Hostel von Johnson Gilbert heißt mittlerweile nur noch „Johnson’s“ und ist in einem für Kerala typischen portugiesischen Mansion untergebracht. Ich hatte das Baseball-Zimmer gebucht. Das war das günstigste und auch das einfachste, nackter Zementboden und ein paar Baseball-Utensilien als Deko, aber immerhin ein Bett, sogar mit Moskitonetz. Nach den Nächten auf der Plastikmatratze in der düsteren Zelle im Amma-Hochhaus kam mir das wie der pure Luxus vor. Leider war es noch nicht bezugsfertig, Johnson lud mich ein, erst einmal einen Tee auf der Veranda zu trinken.
Ich hatte im Lonely Planet schon ein bisschen was über Johnson gelesen, der in Kuwait aufgewachsene Inder mit dem englischen Namen war in der Backpacker-Szene bekannt wie ein bunter Hund. Bunt waren auch seine Haare, um genauer zu sein, hennarot gefärbt. Ich dachte erst, das sei etwas religiöses, vielleicht markiert das die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste. Ich erfuhr jedoch, dass Johnson Christ war, wie viele in Kerala. Später las ich irgendwo, dass indische Männer ab einem bestimmten Alter ihre Haare mit Henna färben, um das Grau abzudecken. Gerhard Schröder-Style auf indisch sozusagen. Johnson war tatsächlich ein bisschen eitel und leicht arrogant. Er kam ursprünglich auch aus dem Showbusiness, wie ich ebenfalls erfuhr, war er wohl mal ein erfolgreicher DJ in Cochi.
Neben dem Homestay besaß der hennarotgefärbte Johnson ein Hausboot, „The Pride“. Wegen der hatte ich mich auch hier eingebucht. Alleppey – oder Alluppzha, wie die Stadt heute eigentlich offiziell heißt – hatte außer den Backwaters und ein paar Bazarstraßen nicht viel zu bieten und ich wollte keine kostbare Zeit mit der Suche nach einem Hausboot-Trip verschwenden. Ich wollte am liebsten direkt noch heute los. Leider war die Pride schon gebucht. Das Pärchen, das mit mir auf der Veranda saß – eine junge Amerikanerin und ihr tibetischer Freund – saßen schon auf gepackten Taschen und warteten auf die Rikscha, die sie zum Boot bringen sollte.
Johnson war wie alle Inder, die ich bisher kennen gelernt hatte, ein cleverer Geschäftsmann. Er fragte die beiden, ob sie was dagegen hätten, wenn ich sie bis abends begleiten würde. Dann hätten sie das Boot immer noch bis zum nächsten Morgen für sich allein. Die beiden waren sofort einverstanden. Ich auch. Meine Vorstellung von einem Hausboot-Trip war zwar bislang die, abends kolonialstilmäßig auf dem Boot bekocht zu werden, später bei einem Buch und einem Gin Tonic auf dem Vorderdeck in einem Teakholz-Deckchair zu sitzen, den Grillen beim Zirpen zu lauschen und in die Sterne zu gucken und mich dann unter die blütenweißen Decken und das Moskitonetz in meiner Kajüte zurückzuziehen. Aber so ein Solo-Luxustrip mit Übernachtung hätte das Budget meiner Backpackerkasse definitiv gesprengt. Die Alternative wäre eine Art Kaffeefahrt mit einer größeren Gruppe auf einem Ausflugsschiff … nein, danke!
Also zog ich mit dem amerikanisch-tibetischen Pärchen los. Ich deponierte mein Gepäck im Wohnzimmer des Guesthouses, zog mich schnell um und los ging’s. Nach zwanzig Minuten kamen wir bei der der Pride an. Wirklich ein sehr schönes Boot, der Name war Programm. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Pride, wie alle „Kettuvalams“ in den Backwaters, früher einmal ein Lastkahn war, auf dem Reis, Gewürze und Kokosnüsse transportiert wurde. Vor zwanzig Jahren kamen irgendwelche findigen Touristiker auf die Idee, die Reisbarken aus Jackwood-Holz und Bambus umzubauen und Touristen über das weit verzweigte Kanalsystem zwischen Kottayam und Cochin zu schippern.
Der Käpt’n und seine Crew wartete bereits auf uns. Bewaffnet mit einem Fresh Lime Soda, machten wir es uns erst einmal in den Korbsesseln auf dem Unterdeck gemütlich. Ich erfuhr, dass meine beiden Mitreisenden sich in Dharamsala, dem Exilwohnsitz des Dalai Lama, kennengelernt haben, als sie ein Praktikum bei einer lokalen Zeitung machte (und einmal auch den Dalai Lama interviewen durfte). Die beiden waren noch sehr jung, vielleicht Mitte zwanzig. Leider kann ich mich nicht mehr an ihre Namen erinnern, aber sehr gut an ihre Geschichte. Er war, wie sehr viele seiner Landsleute, aus Tibet nach Dharamsala geflüchtet und besaß dort heute eine Kunstgalerie. Sie verbrachte mehrere Monate im Jahr bei ihm, die restliche Zeit des Jahres studierte sie in den USA. Eine nicht unübliche Konstellation, wie ich später lernte, ich traf auf meiner Reise einige Frauen aus dem Westen, die zwischen Europa oder den USA und Dharamsala hin- und herpendelten, weil sie sich dort in einen Tibeter oder einen der hochgewachsenen, nordindischen Hoteliers verliebt hatten.
Ich hatte bislang immer eine romantische Vorstellung von diesem Ort am Fuße des Himalaya, der genau wie Rishikesh etwas Magisches für mich hat. Das liegt sicherlich auch mit an dem ganzen Medienrummel um Richard Gere, Uma Thurman und anderen buddhistische Hollywoodgrößen, die regelmäßig hierher kamen, um dem Dalai Lama eine Audienz abzustatten und ihr Seelenheil beim Meditieren in einem der vielen buddhistischen Tempel zu suchen. Dort dauerhaft zu leben klang jedoch nicht sehr romantisch. Zumindest nicht im Winter, wenn die ganzen Touristen weg sind, der 19.000-Seelen-Ort in einer grauen Tristesse versinkt und man bei Minusgraden und Schnee in einem kleinen, dunklen Haus ohne Heizung hockt. Das sei schon verdammt hart, meinte die Amerikanerin. Jetzt tankten die beiden jedenfalls erst einmal ein bisschen Wärme im tropischen Kerala.
Auch wenn unsere Reisbarke nur mit fünf Stundenkilometern daher tuckerte, wehte ein angenehmes Lüftchen durch das Deck. Aus der Küche duftete es bereits verlockend. Der Chef de Cuisine bat uns, schon einmal Platz zu nehmen an der Tafel, wo gleich unser 9-gängiges keralisches Büffet serviert werden würde.
Bei mir in Schwabing gibt es heute abend passend zur Jahreszeit einen Ofenkürbis. Während ich gleich das Messer schwinge, um den Hokkaidokürbis zu zerlegen, gibt es für euch zum Schluss noch ein paar Fotos von meinem Trip auf der Pride. Nächste Woche paddeln wir dann mit dem Kanu durch die kleinen Seitenarme der Backwaters, vorbei an kleinen Dörfern, Reisfeldern und Bananenplantagen. Stay tuned!
Anonymous
7. Oktober 2013 at 10:55Tolle Fotos, Alex – da bekommt “frau” richtig Lust und vor allen Dingen Appetit! 🙂
alexandra911
7. Oktober 2013 at 19:07das keralische büffet war auch extrem köstlich! aber jetzt bin ich neugierg, wer sich hinter dem kommentar verbirgt?