Der Tagesablauf im Sivananda Ashram war streng durchgetaktet. Um 5.20 Uhr läutete die Glocke. Unbarmherzig war auch das Klopfen an der Tür eine halbe Stunde später und die letzte Aufforderung: „Saaaatsaaanggg“. Da möchte ich mir am liebsten die Decke über den Kopf ziehen. Obwohl so ein Ashram-Bett nicht zum längeren Verweilen einlädt.
Anstatt eines höhenverstellbaren Lattenrosts mit Federkernmatratze gab es im Sivananda Ashram nur eine Spanholzplatte mit dünnem Schaumstoff. Wirklich zum nochmal Umdrehen lud das nicht ein. Derjenige, der morgens den Gong läutete, kontrollierte sowieso nochmal die Zimmer, ob die Schäfchen brav aufgestanden waren. Tricksen konnte man nur, wenn man die Tür von außen verriegelte. Also einen Deal mit dem Zimmernachbarn schloss, heute darf ich ausschlafen und du schließt mich ein, morgen darfst du. Aber da gab es noch die Anwesenheitsliste.
Satsang: Meditieren nach Swami Sivananda
Also doch herauspellen aus dem verhedderten Moskitonetz, hinein in die weiße One-Size-Fits-All Ashram-Hose und auf in die Meditationshalle. Da standen schon die Mit-Yogis, deren Karma Yoga Aufgabe es war, die Matten und Liederbücher auszulegen und die Anwesenheit zu kontrollieren. Für die nächsten eineinhalb Stunden hieß es meditieren, beten und chanten. Und den Rezitationen aus den Büchern von Swami Vishnu Devananda und Swami Sivananda lauschen. Swami Vishnu Devananda hatte das Ashram gegründet, das nach seinem Lehrer, Swami Sivananda, benannt ist.
Bei der Meditation war es meistens noch andächtig still. Man versuchte, die im Lotussitz eingeschlafenen Füße zu ignorieren und sich auf seinen Atem zu konzentrieren. Einatmen. Ausatmen. Oder auf sein persönliches Mantra. Schuhe. Kaufen. Schuhe. Kaufen. Pfui. Wobei sich Ten-Inch-Peep-Toes aus feinem Wildleder und mit Kuhmist verzierte, staubige indische Straßen sowieso nicht vertragen. Also nochmal: Oooohhhhmmm …
Das ein oder andere Schnarchen war auch zu vernehmen. Doch dann wurden alle wach: Swami Mahadevananda, das geistige Oberhaupt des Ashrams, griff zum Mikrofon und stimmte zu „Om Namo Narayanaya“ an. Der Swami war Italiener, doch leider nicht mit dem musikalischen Talent eines Pavarotti oder Caruso gesegnet. Er schepperte ins Mikro, sang viel zu laut und vor allem schief. Überdies war er mit seinen siebzig Jahren bereits etwas schwerhörig, so dass er von seinen Misstönen nichts mitbekam.
“He Shiva Shankara” – chanten wie Nina Hagen
Manchmal hatte Natraj, die rechte Hand des Swami, ein Einsehen und drehte dem Swami heimlich den Saft ab. Einige Spaßvögel, wie die beiden verschwägerten Rechtsanwälte aus dem Libanon, die Yogalehrer werden wollten, sangen einfach noch lauter. Und trommelten die Tablas und schüttelten die Zimbeln, was das Zeugs hielt. Wenn wir Glück hatten, durfte jemand der Lehrer das Mikrofon übernehmen. Darunter gab es wirklich einige Goldkehlen. Wenn Juanita „He Shiva Shankara“ sang, kam einem die Gänsehaut. Die Spanierin mit den Dreadlocks konnte dieses Bhajan fast so ergreifend und inbrünstig singen wie Nina Hagen.
Obwohl ich selbst äußerst unmusikalisch bin, liebe ich Kirtans und singe gerne dabei mit. Irgendwann kamen sie mir auch ohne Zungeverknoten über die Lippen, genauso wie die Bhajans und Guru-Chants. Ob ich mich ebenso lernfähig beim Kopfstand zeigte, der Asana, mit der ich schon so lange kämpfte, erfahrt Ihr in Der Yoga-Zoo: Hund, Krokodil, Skorpion und andere wilde Tiere.