Es bewahrheitet sich immer wieder: „Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“. In meinem Reiseführer stand klar und deutlich: „It’s a pleasant, easy bus trip to the top“. Gemeint war der Weg zum Chamundi Hill, ein etwas über 1.000 Meter hoher, bewaldeter Berg ein paar Kilometer außerhalb von Mysore und wichtiges Pilgerziel der Hindus. Denn oben auf der Spitze thronte der Sri Chamundeshwari Tempel, erbaut im 12. Jahrhundert und der Göttin Durga geweiht. Die wird in Mysore Chamundeshwari genannt und ist die Schutzpatronin der Stadt. Und die „Lieblingsgöttin“ der Maharadjas.
Warum ich mich trotz der Aussicht auf einen „easy bus trip“ von dem geschäftstüchtigen Rikschafahrer vom Vortag beschwatzen ließ, ist mir bis heute schleierhaft. Ich hätte nach meinem Abstecher ins Internet-Café auch einfach einen großen Bogen um das Parklane Hotel machen und direkt zum Busbahnhof weiter marschieren können. Wahrscheinlich befürchtete ich, er würde abends immer noch vor dem Hotel lauern. Dabei hätte ich wissen müssen, dass mich doch nur wieder jemand über’s Ohr hauen will. Spätestens bei der Aussage, dass der Bus ja nicht bis oben fährt und ich da ganz schlecht hinkäme, hätte ich stutzig werden müssen. Denn das ist der Klassiker: Das Hotel ist abgebrannt. Das Hotel hat einen Wasserschaden. Der Bus fährt ausgerechnet heute nicht. Warum ich trotzdem eingestiegen bin? Wahrscheinlich klang der Deal zunächst doch ganz verlockend: Er würde mich nach meinem Tempelausflug zum Lalitha Mahal Palace bringen und dort auf mich warten, bis ich meinen Relaxen-am-Pool-mit-Teetrinken-und-Lesen-Nachmittag beendet habe. Dass ich vorhatte, mehrere Stunden dort zu verbringen, schien er zu überhören. Und dass ich mich eine halbe Ewigkeit auf dem Tempelgelände aufhalten würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Sonntagsausflug zur Göttin Chamundeshwari
Also ließ ich mich von ihm und seinem Cousin, oder in welchem Verwandtschaftsverhältnis auch immer er und sein Begleiter zueinander standen, auf dem Parkplatz vor dem Tempelgelände absetzen. Natürlich sahen wir unterwegs auch den Linienbus aus der Stadt, der im Übrigen bis ganz oben hin fuhr. Egal. Auf dem Tempelvorplatz war die Hölle los. Es war Sonntag und außer mir waren Hunderte indischer Großfamilien auf die Idee gekommen, diesen schönen, sonnigen Tag für einen Ausflug zu nutzen. Vor indischen Tempeln geht es häufig zu wie auf einem Jahrmarkt, so auch hier. Buden, an denen man allerlei Opfergaben für die Göttin Chamundeshwari erwerben konnte, fahrbare Stände, an denen man sich mit einer gekühlten Kokosnuss oder mit frisch aufgeschnittenen Papayas und Mangos erfrischen konnte. Mit denen ich mich auch erst mal stärkte, „peel it or cook it“ zum Trotz. Schließlich wurden die Stückchen säuberlich in kleine Plastiktütchen verpackt und es gab einen Zahnstocher zum Aufspießen dazu.
Ich erkundete erst einmal ein wenig die Umgebung, es gab noch ein paar kleinere Tempel mit dem einen oder anderen selbsternannten Sadhu. Bei denen konnte man für ein paar Rupien ein selbstgehäkeltes Armbändchen mit einer Rudraksha-Kugel erstehen. Das Armband wurde natürlich vorher gesegnet und man musste es so lange tragen, bis es von alleine abfiel. Der Tempelklassiker, egal ob in Thailand oder Indien. Ich wusste, dass ich das heilige Armband spätestens am Abend wieder abnehmen würde – ich mag es überhaupt nicht, mit Schmuck schlafen zu gehen – kaufte aber trotzdem eins. Vielleicht war ich doch ein bisschen abergläubisch und ließ mich von der Atmosphäre und dem Sadhu einlullen. Und von den sagenumwobenen, mystischen Kräften der Rudrakshas, die auch „Träne Shivas“ genannt werden, weil sie der Legende nach aus den Glückstränen von Lord Shiva nach einer Meditation entstanden sind. Eine Berührung dieser Wunderkugel und man ist angeblich stressbefreit, tiefenentspannt, intelligenter, willensstärker, aufnahmefähiger. Die Liste der positiven Eigenschaften auf Körper, Geist und Seele ist ellenlang. Eine Wunderkugel halt. Wenn man daran glaubt.
Ob mir die Rudraksha-Kugel an meinem Arm dabei half, den Versuch in den Tempel zu kommen, umgestresst zu überstehen, kann ich nicht sagen. Die Schlange war elendig lang. Ich werde normalerweise schon bei fünf Minuten Schlange stehen im Rewe oder im DM hippelig. Aber natürlich wollte auch ich die goldene Statue der Göttin Durga sehen, wegen ihr war ich ja hierher gekommen. Also parkte ich wie alle anderen meine Schuhe bei der Dame auf dem Vorplatz und stellte mich an. Vor mir und hinter mir und neben mir ausschließlich Einheimische. Komisch, dass hier keine anderen Touristen waren. Dabei hatte ich ganz sicher gelesen, dass der Tempel auch für Nicht-Hindus zugänglich ist.
Es ging sehr langsam vorwärts. Langweilig wurde mir dennoch nicht. „Where are you from?“ „Do you speak English?“, „Say hello to Auntie!“. Für ausreichend Konversation war gesorgt. Kinder probierten ihr Schulenglisch an mir aus, Mütter freuten sich. Irgendwann kamen wir dann auch näher Richtung Eingang. Dann sah ich etwas, das mich ziemlich erschreckte: Am Eingang stand jemand, der Eintrittskarten kontrollierte. Eine solche hatte ich nicht. Das Kassenhäuschen neben dem Eingang sah ich erst jetzt. Ja, man braucht ein Ticket, sagte die Dame neben mir und lachte. Und rief dann etwas über die Reihen vor uns Richtung Kassenhäuschen. Kurze Zeit später bekam ich ein Ticket durchgereicht. Meine Rettung. Ich reichte meine 20 Rupien nach vorne und bedankte mich tausend Mal, dass mir das erneute Anstehen erspart blieb. Wobei ich dabei wahrscheinlich entdeckt hätte, dass es ein zweites Kassenhäuschen gab. Das für die 100-Rupien-Express-Tickets, mit denen man Ruckizucki in den Tempel hineinkam. Für die wohlhabenderen Inder. Und die Touris. In Sachen Konzentration hatte die Rudraksha-Kugel also schonmal kläglich versagt. Aber Express-Eingang kann ja jeder …
Und der Rikschafahrer muss warten
Die goldene Durga-Statue war nicht so spektakulär und nachdem man von den nachkommenden Massen fast erdrückt wurde, suchte ich ziemlich schnell das Weite. Außerdem musste ich ja noch die 1.000 Stufen den Berg hinunter zum Treffpunkt mit dem Rikschafahrer. Der empfing mich schon auf der Stufe 600, kurz nach der Nandi-Statue, einem fünf Meter hohen Stier aus Fels, der das Reittier Shivas darstellen sollte. Wutschnaubend wie ein Stier war auch der Rikschamann, als er mich erblickte. Wo ich denn so lange gewesen sei, er hätte schon ewig gewartet. Das ging ja gar nicht. Dass ich in der falschen Schlange gestanden bin, verriet ich jetzt mal nicht.
Eine Runde im Swimming-Pool des alten Maharadja-Ferienpalastes
Die Stimmung war reichlich unterkühlt auf der rasanten Fahrt den Berg hinunter und wurde noch eisiger, als wir den Parkplatz des Lalitha Mahal Palace erreichten. Ich hatte vor, den Rest des Nachmittags gemütlich am Pool zu liegen und mich dabei zu fühlen, wie die Ehefrau einer der Staatsgäste, die der Maharadja früher hier in diesem kleinen Palast empfing, das heute ein Fünf-Sterne-Hotel beherbergt. Da hatte ich aber die Rechnung ohne den Rikschafahrer gemacht. Höchstens eine Stunde würde er warten, länger wäre nicht ausgemacht gewesen. Wir hatten überhaupt nichts ausgemacht. Der Deal war, ich paddle so lange im Pool wie ich will. Nein, das ginge nicht. Dann müsste ich mehr bezahlen. Aha, daher weht der Wind. Meinen Vorschlag, ich würde ihm jetzt den Teil bis hierher bezahlen und mir für die Rückfahrt eine andere Rikscha besorgen, wollte er nicht akzeptieren. Hier würden keine Rikschas vorbei fahren und wenn, dann wären die wahnsinnig teuer. Genau. Ich gab ihm das Geld und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Die Kieselsteine spritzten und weg war er. Egal, irgendwie würde ich schon wieder in die Stadt kommen.
Jetzt musste ich erst einmal zusehen, dass ich in den Besitz einer Tages-Pool-Karte für diesen Nobelkasten kam. Meine Kleidung jedenfalls war nicht angemessen, Flipflops und Haremshosen trug hier weit und breit niemand. Aber das störte den Herrn an der Rezeption zum Glück nicht und ich suchte mir nach einer kleinen Besichtigung der noblen Räumlichkeiten im Erdgeschoss einen lauschigen Platz im Garten und drehte erst einmal ein paar Runden im Pool. Hier war das Indien der einen über den Tisch ziehen wollenden Rikschafahrer, der einem immer etwas andrehen wollenden Verkäufer, der Auf-Tuchfühlung-mit-Wildfremden-Tempelschlangen und das ganze staubige, laute, hitzige Chaos, das dieses Land so anstrengend aber auch gleichzeitig so faszinierend macht, weit weg. Mir wurde fast ein bisschen langweilig. Aber auch nur fast. Das Ambiente war zu schön, um es nicht zu genießen.
In die Stadt zurück kam ich übrigens ohne Probleme. Der Herr an der Rezeption rief mir eine Rikscha, die mich für einen Spottpreis zu meinem Hotel brachte. Also doch nicht nur Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Für meinen Ausflug zu den Tempeln von Sirangapatnam und Somnathpur verzichtete ich trotzdem auf eine Fahrt mit der Rikscha, ich buchte stattdessen bei der städtischen Tourist Agency einen Fahrer. Ob der auch so ein Schlitzohr war und welche architektonischen Wunderwerke uns in diesen beiden kleinen Örtchen erwarteten, erfahrt ihr nächste Woche, stay tuned!
Marble Moon
24. Februar 2014 at 9:36Zu gut… 🙂
Din
3. März 2014 at 7:41Ich wäre vermutlich vor Aufregung gar nicht mehr mit dem Herrn zurecht gekommen. Da hilft wohl tief durchatmen. Aber gut, dass alles doch noch irgendwie gut ausgegangen ist.
SalvaVenia
8. März 2014 at 17:48Aber Express-Eingang kann ja jeder … 🙂
Wie mich das doch gleich wieder erinnert … 🙂 Leider steht die nächste gen Osten gerichtete Fahrt erst wieder im April/Mai an. Schönste Blumenzeit!
alexandra911
9. März 2014 at 7:38beim express-eingang hätte ich nicht so viel erlebt! bei mir geht es in knapp zwei wochen nochmal nach indien. wo wirst du hinfahren, salvavenia?