Zurück in Fort Cochin – dem Rikschafahrer auf den Leim gegangen

Wenn man länger auf Reisen ist und zum zweiten Mal an denselben Ort kommt, ist das ein bisschen wie nach Hause kommen. Als ich mich vom Busbahnhof in Ernakulam mit der Rikscha zur Boat Jetty bringen ließ und mit der Local Ferry nach Fort Cochin übersetzte, fühlte ich mich wie ein „local“, der nach einem Kurzurlaub auf dem Heimweg war. An der Anlagestelle hatte ich kurzzeitig sogar das Gefühl, ein bekanntes Gesicht zu sehen. In der Menschenmasse, die von Bord kam, entdeckte ich jemanden mit demselben giftgrünen, unvorteilhaft geschnittenen „Om Namo Narayanaya – Chant For World Peace“-T-Shirt, das ich in der Boutique des Sivananda-Ashrams erstanden hatte. Das ist im Übrigen erstaunlich widerstandsfähig und hat sämtliche indische Wäschen überlebt, ich trage es heute gerne zum Schlafen.

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Ich kannte das Mädel mit dem grünen T-Shirt dann doch nicht, die Sivananda-Einheitskleidung hatte aber kurzzeitig ein Gefühl der Verbundenheit hergestellt und wir warfen uns im Vorbeigehen ein paar Worte zu: „Hey, auch bei den Sivanandas gewesen?“ Würde man jetzt bei jemandem mit einem Hard-Rock-Café-T-Shirt „Waikiki“ vielleicht nicht unbedingt machen „Hey, auch in Waikiki gewesen?“, aber bei den rucksackreisenden Yogis war das anders.

Die Fährfahrt war übrigens jede der drei Rupien – das sind umgerechnet knapp fünf Cent – wert, die ich für mein Ticket bezahlt hatte. Ich ergatterte einen Platz am Fenster, ließ mir den Wind um die Nase wehen und genoss den Blick auf die Häuser von Mattancherry. Im Hintergrund sah man eine Skyline aus Hochhäusern, vor der ein paar Kräne aus dem Industriegebiet am Hafen herausragten, das passte nicht so ganz ins Bild, doch ich ignorierte es einfach. Die Blicke meiner Mitfahrer ignorierte ich auch. Die schauten neugierig auf mich und mein ganzes Gepäck und fragten sich wahrscheinlich, wie ich mit zwei Rucksäcken, Umhängetasche und Yogamatte wieder von Bord kommen wollte. Viel Platz war auf dieser schunkelnden Barke wirklich nicht.

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Ich fragte mich auch immer wieder, warum in aller Welt ich soviel Zeug mit mir herumschleppte. Obwohl ich bei den Sivanandas schon mindestens zwei Kilo überflüssige Klamotten aussortiert hatte – falls Ihr in Neyyar Dam jemanden mit weißen Geox-Mokassin-Schlappen herumlaufen sehen solltet, dann sind das gegebenenfalls meine – aber irgendwie wurde es nicht weniger. Aber ich hatte inzwischen ein ganz gutes Gefühl dafür, wie ich die einzelnen Gepäckstücke an mich hängen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Durch das Drehkreuz am Ausgang passte ich allerdings kaum hindurch.

Aber ich musste ja nicht weit laufen. Denn vor der Jetty warteten natürlich schon wieder einige geschäftstüchtige Rikschafahrer. Ich kannte mich ja wie gesagt nun aus in Fort Cochi und wusste genau, wo ich hinwollte. Ich hatte zwar prophylaktisch nochmal eine Nacht im Spencer Home reserviert, entschied mich aber für das Rossitta, das war mir von Sîan, meiner Ashram-Mitstreiterin aus Kapstadt, empfohlen worden. Ein hübsches, kleines Heritage Hotel mit luftigem Garten in der Nähe vom Strand. Ich sah mich schon im Wellness-Bereich auf einer Liege, wo mir jemand die Muskelschmerzen vom Rucksacktragen wegmassierte.

Es kam jedoch anders. Ich zog ins Honolulu Homestay ein. Denn ich machte etwas, vor dem jeder Reiseführer warnt und von dem ich immer dachte, ich sei viel zu schlau, um mich auf so etwas einzulassen. Der Rikschafahrer war der Meinung, das Rossitta sei viel zu teuer und zu überlaufen. Genau. Wahrscheinlich wäre da sowieso nichts mehr frei. Genau. Er würde eine viele bessere Unterkunft kennen, sein Cousin hätte Fremdenzimmer. Ganz billig. Genau. Und überhaupt. Nach einer fünfminütigen Diskussion hatte er mich so weit, dass ich zumindest einen Blick riskierte. Der Rikschamann freute sich unbändig. Die Rupienzeichen blitzten in seinen Augen und er rechnete sich schon aus, wieviel Provision für ihn herausspringen würde. Als ich dann tatsächlich ein Zimmer nahm, freute er sich noch mehr.

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Ich auch. In einem der zahlreichen kolonialen Mansions im touristischen Zentrum von Fort Cochi zu logieren war definitiv ein Erlebnis. Bei einer indischen Familie in einer ganz normalen Wohngegend als Untermieter einzuziehen, hatte jedoch auch etwas. Mein Landlord musste eine ziemlich große Familie haben, vor der Verandatür, die ins Wohnzimmer führte, parkten zumindest unzählige Schlappen und Schuhe. Ich musste meine Wanderstiefel auch unten stehen lassen, bevor ich mein Zimmer im zweiten Stock bezog. Wie zu Hause …

Mein Rikschafahrer hatte nicht zu viel versprochen. Das Zimmer war unschlagbar günstig, nur 500 Rupien, dafür gibt es hier in München gerade mal eine Latte Macchiatto und ein Stück Kuchen. Es war auch das sauberste, das ich auf der ganzen Reise hatte. Keine abgeblätterte Farbe an den Wänden, keine Schimmelflecken in den Ecken und kein verrosteter Duschkopf. Der koloniale Charme fehlte zwar völlig, es war typisch indisch gefliest und auf dem Bett lag die obligatorische Polyesterpseudowolldecke mit Blumenmuster, die sich nachts gerne heimlich an einen kuschelte, weil man wieder einmal das Leinenlaken weggestrampelt hat. Dafür kam aus der Dusche sogar richtig heißes Wasser, das war in Südindien eine ziemliche Seltenheit. Das Maximum war in der Regel ein lauwarmes Getröpfel.

Manchmal kann es sich also durchaus lohnen, sich über die guten Ratschläge von Lonely Planet & Co hinwegzusetzen und auf die sicherlich nicht ganz uneigennützigen, aber oftmals doch richtig guten Tipps eines Rikschafahrers zu hören. Zwar irritierte mich die vor dem Tor grasende Ziege etwas, aber der spätere Gang durch die Altstadt und der Blick auf die zerfallenen Wohnhäuser dort zeigten mir, dass ich wohl in einer vergleichsweise wohlhabendenden Gegend gelandet war.

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Von meinem neuen Zuhause waren es zwar knapp zehn Minuten zu Fuß in die Touristenhochburg von Fort Cochin, aber ich kannte mich ja inzwischen aus. Und nachdem die Hauptstraße abends sogar beleuchtet war, musste ich keine Angst haben, mir in einem der vielen Schlaglöcher die Haxen zu brechen. Ich kümmerte mich erst einmal um meine Weiterfahrt. Ein Blick in den Computer zeigte, dass ich für den Zug nach Bangalore immer noch auf Platz 14 der Warteliste stand. Vielleicht hätte ich doch die Sleeper Class – das ist die Holzklasse, dort liegt man nachts in drei Etagen dichtgedrängt wie ein Huhn auf der Stange – wählen sollen, da gab es immer noch ein freies Plätzchen. Aber ich wollte ja partout mein eigenes Bett in der klimatisierten Klasse …

Da blieb dann wohl doch nur die Variante Bus. Der Gedanke an den Local Bus ließ mich erschaudern: Keine Fensterscheiben, eine Tür, die halbscharig an einem Seil befestigt war, ein weiteres Seil mit einer Glocke, an dem man zupfte, wenn man aussteigen wollte. Aber ein Überlandlangstreckenbus wird sicherlich selbst in Indien ein wenig komfortabler ausgestattet sein. Also besorgte ich mir für den nächsten Abend ein Ticket für den Nachtbus nach Mysore. Mal sehen, auf welches Abenteuer ich mich da eingelassen hatte.

Aber erst einmal hatte ich noch einen Tag in Fort Cochin vor mir. Nachdem ich die touristischen Highlights ja schon alle mehrfach abgeklappert hatte, entschloss ich mich, einen Ort aufzusuchen, in dem sich indische Frauen mindestens einmal die Woche einfinden: ich ging in ein Beauty Parlour, in einen Schönheitssalon. Warum Henna-Tattoos bei Weißhäutern wie mir nicht wirklich toll aussehen und was im Frisierstuhl alles so geklatscht und getrascht wird, erfahrt Ihr demnächst an dieser Stelle!

2 comments

  1. Liebe Alex, wie immer – sehr spannend und witzig – ich liebe deine Reiseberichte! Weiter so!
    LG und ein wundervolles neues Jahr 2014!

  2. liebe marianne, dir auch ein wunderbares neues jahr! mein guter vorsatz heißt: “keep on blogging”, d.h. es wird noch einige geschichten hier geben! LG, alex

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